Karl Nolle, MdL

MDR-Online, 16.01.2002

Kurt Biedenkopf: Von "König Kurt" zum Ministerpräsidenten auf Zeit

Ein Porträt von Jürgen Schlimper
 
Kurt Biedenkopf - seine Verdienste

Kaum ein anderer bundesdeutscher Politiker hat in seinem Leben ein solches Auf und Ab erlebt wie Kurt Biedenkopf. Der Fall vom hochgelobten CDU-Generalsekretär zum gescheiterten westfälischen Landespolitiker war tief. Und auch jetzt ist der einst als "König Kurt" oder "Kurt der Starke" titulierte sächsische Ministerpräsidentan an einem neuen Tiefpunkt seiner politischen Karriere angelangt. Immerhin war ihm im Frühjahr 2000, auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenkrise, zugetraut worden, die Bundes-CDU zu führen.

Am bittersten dürfte es für Biedenkopf werden, wenn er sein Amt an einen ungeliebten Konkurrenten aus der eigenen Partei übergeben muss. Nachfolger könnte Georg Milbradt werden, dessen Wahl zum CDU-Landesvorsitzenden Biedenkopf schon nicht mehr verhindern konnte.

Lange Zeit hatte Biedenkopf der Sachsen-CDU unangefochten präsidiert. "Er hat gesprochen und die anderen haben nur noch applaudiert", beschrieb einmal ein Landtagsabgeordneter gegenüber Journalisten die Situation. Doch die hat sich inzwischen grundlegend verändert. Die zahlreichen Vorwürfe gegen Biedenkopf haben zwar nach Umfragen unter Sachsens Wählern bislang wenig Eindruck gemacht. In der eigenen Partei fielen aber inzwischen sogar Worte wie "Vertrauensfrage" oder "Rücktritt". Es geht hier inzwischen die Angst um, Biedenkopf könnte der CDU in Sachsen zur Last werden. "War es das oder kommt noch was, Kurt", soll ihn Georg Milbradt in der Fraktion nach dem IKEA-Einkauf gefragt haben, ohne dass sich Protest gegen diese Direktheit erhob. Das wäre noch vor Monaten undenkbar gewesen.

Der gescheiterte CDU-Generalsekretär

Der 1930 geborene Biedenkopf wurde nach Jura- und Politikstudium sowie verschiedenen Tätigkeiten an bundesdeutschen und amerikanischen Hochschulen 1964 zum Professor für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Universität in Bochum berufen. 1973 gelangte er auf Vorschlag von Kohl in die Funktion des Generalsekretärs der CDU. Biedenkopf war maßgeblich an der Formulierung des 1978 beschlossenen Grundsatzprogramms der CDU beteiligt. 1976 zog Biedenkopf auch in den Bundestag ein.

Biedenkopf galt in diesen Jahren als der Kopf, dem die CDU unter Kohl eine Reihe von Wahlerfolgen verdankte. Kohls Generalsekretär hatte von seinem Denken her wenig mit den klassischen Konservativen gemein. Er betonte die soziale Verantwortung der Christdemokraten gegenüber den Schwachen. Fortschritt beschränkte sich für Biedenkopf nicht auf wirtschaftliches Wachstum. Biedenkopf erwarb sich den Ruf eines "Querdenkers" - und das war einhellig als Lob gemeint.

Der eigensinnige Generalsekretär verlor aber bald die Unterstützung seines früheren Förderers Helmut Kohl. Dieser sah in Biedenkopf zunehmend wohl mehr einen Konkurrenten als einen Unterstützer. 1977 endete daher der gemeinsame Weg: Biedenkopf gab die Funktion des Generalsekretärs auf. Sein Verhältnis zu Kohl blieb seitdem immer gespannt.

Zwischenstation Nordrhein-Westfalen

Ab 1980 nahm Biedenkopf Spitzenfunktionen in der CDU Nordrhein-Westfalens ein. Erfolge blieben aber aus. 1980 erreichte die SPD bei den Landtagswahlen sogar erstmals die absolute Mehrheit. 1983 verdrängte Kohls Vertrauter Bernhard Worms Biedenkopf sogar aus der Spitzenposition der NRW-CDU im Landtag.

Nach dem Scheitern von Worms bei den Landtagswahlen und der Fusion der beiden CDU-Landesverbände in NRW zu einer einheitlichen Organisation trat Biedenkopf 1986 noch einmal an die Spitze der Landespartei. Aber schon ein reichliches Jahr später gab Biedenkopf nach heftigen Machtkämpfen auf. 1988 legte Biedenkopf mit seinem Landtagsmandat sein vorläufig letztes politisches Amt nieder und konzentrierte sich wieder stärker auf die Wissenschaft. 1988 legte Biedenkopf dann noch sein Modell der Grundrente vor, das aber in der CDU keine Mehrheit fand. Immerhin erreichte er aber, dass die Debatten über die Zukunft der Rente größeres öffentliches Interesse fanden.


Biedenkopf - eine neue politische Chance nach der Wende

Vom "politischen Auslaufmodell" zum Hoffnungsträger im Osten
Erst die politische Wende in der DDR bot Biedenkopf eine neue Chance. Zunächst übernahm er im April 1990 an der Leipziger Karl-Marx-Universität eine wirtschaftswissenschaftliche Gastprofessur. Doch schon im Sommer wechselte er wieder in die Politik: Die sächsische CDU nominierte Biedenkopf als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Herbst.

Biedenkopfs Auftreten sicherte der Union einen klaren Erfolg: Fast 54 Prozent der Wähler gaben seiner Partei ihre Stimme. Bei den folgenden Landtagswahlen 1994 und 1999 kam Biedenkopf mit seiner Union sogar auf etwa 58 bzw. 57 Prozent. Selbst die Opposition zeigte sich dadurch beeindruckt und nahm Biedenkopfs patriarchalisches Auftreten ohne größeres Aufmucken hin.

Lange Zeit galt Biedenkopfs Sachsen als jenes Bundesland, dem zuerst ein wirtschaftlicher Aufschwung zugetraut wurde. Biedenkopf betrieb eine "Leuchttumpolitik", die auch Erfolge brachte. Vor allem die VW-Ansiedlung in Mosel sowie die Chipfabriken von AMD und Infineon werden mit Biedenkopf in Verbindung gebracht.

Kritiker wandten ein, Biedenkopf habe mit der Förderung der "Leuchttürme" den Mittelstand vernachlässigt. Biedenkopf hielt ihnen entgegen, dass die geförderten Großunternehmen zusätzlich zahlreiche Arbeitsplätze in mittelständischen Betrieben nach sich ziehen würden.

Am Ruf Sachsens als einer Zone wirtschaftlichen Aufschwungs hat sich bis heute wenig geändert, auch wenn Sachsen inzwischen bei den Arbeitslosenzahlen nur noch im Mittelfeld der ostdeutschen Länder liegt.

Für viele gilt Biedenkopf als herausragender Vertreter ostdeutscher Interessen. Vor allem der erfolgreiche Abschluss des "Solidarpakts II" wird der Verhandlungsführung Biedenkopfs zugeschrieben. In den Jahren zuvor hatte er sich für zuverlässige Finanzhilfen des Bundes für den Osten eingesetzt und von legitimen Ansprüchen der Ostdeutschen gesprochen, wenn es um einen Ausgleich für die von der SBZ und DDR geleisteten Reparationen ging.

Aus der vielfach verwendeten Bezeichnung "König Kurt" spricht meist Bewunderung, nur selten Ironie. Umfragen belegten: Selbst viele Wähler anderer Parteien - die der PDS eingeschlossen - wünschten sich vor den Landtagswahlen 1994 und 1998 Biedenkopf als Ministerpräsidenten.


Einfluss in der Bundespartei zurückgewonnen

Biedenkopf war es auch, der die sächsische CDU über viele Jahre einte. 1991 wurde er an die Spitze der sächsischen Union gewählt. In der Bundespartei verfolgte er oft eigenständige Strategien – so gehörte er nicht zu Befürwortern des Berlin-Umzuges. Vor allem Kohl widersprach er gern – zum Beispiel in der Rentenpolitik, bei den Benzinpreisen oder sogar beim Länderfinanzausgleich. So äußerte er gewisses Verständnis für die Interessen der Geberländer.

Gegenüber der EU nahm Biedenkopf sogar Rechtsauseinandersetzungen in Kauf. Besonders die Subventionen für VW in Mosel sorgten für viel Ärger.

Beim Euro verlangte Biedenkopf eine fünfjährige Testphase – fand hier aber wie bei vielen anderen Forderungen keinen nennenswerten Widerhall.


Sächsische Variante des Systems Kohl?

Wie mancher andere CDU-Politiker, der am Beginn der Ära Kohl Einfluss gewann, ist auch Kurt Biedenkopf durch das "System Kohl" zu Macht und Einfluss gelangt. Dass Biedenkopf schon wenige Jahre später ein Opfer dieses "Systems Kohl" wurde, hat nach Meinung der Opposition nicht verhindert, dass er selber schon zu Beginn der 90er Jahre in Sachsen ein ähnliches System aufgebaut hat. Biedenkopf, das sei ja "Oggersheim als Professor", formulierte einer von Biedenkopfs internen Gegnern vor zwei Jahren gegenüber einer Wochenzeitung.


Sorgen mit der Landespartei

In Sachsen gab Biedenkopf 1995 das Amt des CDU-Landesvorsitzenden an seinen Vertrauten ab, den Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle. Dieser blieb aber immer umstritten und sorgte nicht für die von Biedenkopf gewünschte Rückenfreiheit in der eigenen Partei. Als im Januar 2001 die Neuwahl des Fraktionsvorsitzenden auf der Tagesordnung stand, traf Hähle auf einmal auf zwei Konkurrenten und konnte sich nur denkbar knapp durchsetzen.

Biedenkopf sah in dieser Gegenkandidatur einen indirekten Angriff auf seine Person. In Sachsens CDU entbrannte ein offener Machtkampf, der bis heute nicht abgeschlossen ist.

Ein erstes Ergebnis dieses Machtkampfes war die Entlassung des langjährigen Finanzministers Milbradt. Biedenkopf verübelte ihm, dass Milbradt einen der Gegenkandidaten zu Hähle in Stellung gebracht haben soll. Der Ministerpäsident soll geargwöhnt haben, Milbradt habe sich so größeren Einfluss auf die Landespartei sichern wollen. Der "Leipziger Volkszeitung" gegenüber soll ein empörter Biedenkopf damals gesagt haben: Milbradt sei ein "hoch begabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker". Die Bemerkung wurde später zur "privaten Äußerung" herabgestuft. Auf die Verhältnisse in der Sachsen-CDU ließ sie aber Rückschlüsse zu.


Jetzt auch offene Kritik aus den eigenen Reihen

Ruhe brachte diese Entlassung nicht in die Partei. Einstige Parteigänger Biedenkopfs wie Eggert oder Vaatz hielten sich jetzt mit ihren Kommentaren kaum noch zurück und sprachen offen über das bevorstehende Ende der Ära Biedenkopf. Da fiel auch in einem Interview von Vaatz die Bemerkung, wonach Biedenkopf nicht wie einst Jelzin seine Nachfolge in Gutsherrenart regeln dürfe.

Und auch der geschasste Ex-Minister Milbradt machte Biedenkopf die Grenzen deutlich, wenn er zum Beispiel zu Protokoll gab: "Der Ministerpräsident hat aus gutem Grund bei uns nach der Verfassung das Recht, das Kabinett nach seinen Vorstellungen zusammenzusetzen. Deshalb ist diese Entscheidung zu respektieren. Für Wahlen innerhalb der Partei gilt das nicht."

Als Milbradt im Herbst 2001 dann von der Landespartei zu ihrem Vorsitzenden gewählt wurde, sahen Beobachter darin eine persönliche Niederlage von Biedenkopf. Denn dieser hatte bis zur letzten Minute ausdrücklich Milbradts Konkurrenten Steffen Flath unterstützt und von der Wahl Milbradts ausdrücklich abgeraten. Und Biedenkopfs Staatskanzlei-Chef Brüggen soll gar mit handfesten Drohungen versucht haben, prominente CDU-Mitglieder von einer öffentlichen Fürsprache für Milbradt abzubringen.


Von "König Kurt" zum "Rabattkönig"

Gegen Ende seiner Amtszeit zeigten die verschiedenen Vorhaltungen gegenüber Biedenkopf Wirkung. Die Paunsdorf-Affäre, der Streit um die Mietverträge in der Schevenstraße und mehrere andere Fälle beschädigten innerhalb der letzten zwei Jahre vor allem außerhalb Sachsens den Ruf von Biedenkopf. Das schwache Krisenmanagement von Biedenkopfs Staatskanzlei richtete dabei oft größeren Schaden an als die Bemühungen der Opposition.

Auch Biedenkopf selber fiel jetzt mehrfach durch peinliche Aussetzer auf. So erwies er mit seiner Wahlkampfäußerung über den heutigen Dresdner OB Roßberg ("Schrott aus Wuppertal") dem damaligen Amtsinhaber Wagner (CDU) einen Bärendienst. Auch in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Sachsens oberstem Datenschützer Giesen war wenig von Biedenkopfs einstiger Souveränität zu spüren.

Selbst die an sich harmlose IKEA-Rabattgeschichte schaffte es bis in die überregionale Presse. In dieser mutierte Biedenkopf vom einst hochgelobten "König Kurt" zum belächelten "Rabattkönig". Heftigster Gegner des Ministerpräsidenten ist der SPD-Landtagsabgeordnete Nolle. Doch selbst seine scharfen Angriffe haben es nicht vermocht, die Umfragewerte für Biedenkopf und seine Partei dramatisch zu schwächen. Über die Auseinandersetzungen mit Biedenkopf hinaus agieren PDS und SPD im Landtag offenbar zu blass, um der CDU Paroli bieten zu können.


Umstrittene Landesmutter

Verheiratet ist Biedenkopf nach seiner Scheidung seit 1979 in zweiter Ehe mit Ingrid Kuhbier, geborene Ries. Seine Ehefrau mischt im politischen Geschäft kräftig mit, auch wenn sie keine offiziellen Funktionen ausübt. Seit 1995 taucht das umstrittene "Büro Ingrid Biedenkopf" auch im Landeshaushalt auf. Ingrid Biedenkopf wird nachgesagt, dass sie auch Ministern gegenüber durchdringend auftritt, dass Petitionen an ihre Adresse durchaus Erfolg versprechen.

Vor allem die Opposition sieht im Büro Ingrid Biedenkopf eine Einrichtung, die eher in ein monarchisches System passen würde. Der Zuspruch für das Büro macht aber auch deutlich, dass viele Menschen Ingrid Biedenkopf mehr vertrauen als dem eigentlich zuständigen Petitionsausschuss des Landtagtages. Und das ist wohl besorgniserregender als ein Büro, dem Sachsens Datenschutzbeauftragter Giesen inzwischen einen bedenklichen Umgang mit personenbezogenen Daten attestiert.
(MDR-Online)

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: