Freie Presse - Online, 22.01.2002
Dem Gewissen oder der Partei verpflichtet
CDU-Fraktion bei Biedenkopf-Nachfolge ohne Alternative, aber mit hohem Spekulationspotenzial
Dresden. Der Rufer klingt noch einsam, aber er ist davon überzeugt, dass er nicht allein für sich spricht. „Milbradt hat keine Mehrheit“, sagt Wolf-Dieter Beyer, „deswegen müssen wir uns um einen Alternativ-Kandidaten bemühen, hinter den sich die Fraktion geschlossen stellen kann.“ Beyer, CDU-Landtagsabgeordneter aus Chemnitz, hat für den Fall, dass sein Ruf kein Gehör findet, bereits vorgebeugt. Von einem Parteitagsbeschluss, der ihn auf einen von ihm ungeliebten Vorschlag festlegen soll, will er sich in seiner Entscheidung nicht binden lassen.
Nicht das Amt des Ministerpräsidenten, das Milbradt anstrebt, sieht Beyer im Mittelpunkt der Verpflichtungen, denen sich der neue Vorsitzende des CDU-Landesverbandes zu stellen habe. „Milbradt und Winkler haben die Führung in der CDU übernommen, um die Bundestagswahl erfolgreich vorzubereiten. Dieser Aufgabe haben sie sich zu widmen.“
Noch kein anderer Bewerber
Beyers Pech ist jedoch, dass bis auf Milbradt noch kein anderer Bewerber sein Interesse am Amt des Ministerpräsidenten angemeldet hat. Wie es scheint, dürfte sich daran in den nächsten Tagen wenig verändern. „Keiner hat Lust, sich eine blutige Nase zu holen“, wägt Klaus Leroff, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Chancen und Risiken ab. Ob Thomas de Maiziere oder Stanislav Tillich: Beide sind jung genug, um auf eine neue Bewährungsprobe zu warten. Zudem könnten sie sich dem Drängen von Biedenkopf-Gefolgsleuten zum Trotz mit dem Etikett schmücken, eine drohende Spaltung durch Verzicht auf eine Kandidatur verhindert zu haben.
Spekulationen sprießen
Bis ein solche Entscheidung perfekt ist, bleibt der Chemnitzer Beyer dabei, den Unterschied zwischen Partei und Fraktion hervorzuheben. „Es ist ein Unterschied, ob ein Ministerpräsident zum Ende einer Legislaturperiode oder mittendrin ausscheidet“, weist Beyer für den akuten Fall den Abgeordneten das alleinige Votum zu. „Das Führungspersonal ist den Parlamentariern gut bekannt“, sagt Beyer. Ob das bei den Delegierten ebenso der Fall sei, zieht er in Zweifel.
Da ohne Alternative alles auf Georg Milbradt zusteuert, finden Spekulationen über dessen künftige Minister-Mannschaft bereits lebhaft Nahrung. Der „Spiegel“ ergänzte diese am Montag mit zwei treuen Gefolgsleuten des Ex-Finanzministers: Andrea Fischer, Landrätin in Milbradts Wahlkreis Kamenz, und Christoph Hollenders, Notar in Dresden. Vor allem der Name Hollenders lässt aufhorchen. „Wenn es Verquickungen mit Hollenders gibt, muss man mehrere Frage-und Ausrufezeichen setzen“, meinte Fraktionschef Fritz Hähle. Milbradt sei aber zu klug, wiegelt man in der CDU ab, „eine so unsensible Personalentscheidung“ zu treffen.
(Hubert Kemper)