Sächsische Zeitung, 15.02.2002
Biedenkopf-Nachfolge: Neue Buschfeuer
CDU streitet über Alternativkandidaten, Probeabstimmungen, Kabinettslisten
In Sachsens CDU ist wegen der bevorstehenden Wahl eines Nachfolgers für Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) erneut Streit ausgebrochen. Anlass ist ein offener Brief des Plauener CDU-Landtagsabgeordneten Kurt Stempell, in dem er schwere Vorwürfe gegen den bisher einzigen Bewerber, CDU-Landeschef Georg Milbradt, erhebt. Stempell bezeichnet Milbradt darin als "selbsternannten Nachfolger", der mit einer "machthungrigen Gruppe" Biedenkopf gezielt aus dem Amt gedrängt habe. Gegen den Ex-Finanzminister hätten sich nicht grundlos fünf seiner ehemaligen Kabinettskollegen ausgesprochen. Zudem habe der Kandidat "Schwachstellen", die der Sachsen-CDU langfristig schaden könnten. Stempell sieht in Europaminister Stanislaw Tillich (CDU) die bessere Alternative.
Die Resonanz blieb bisher aber gering. Als einziger CDU-Fraktionär stellte sich der Chemnitzer Abgeordnete Wolf-Dieter Beyer hinter das Papier. Andere Christdemokraten sprachen gestern von einem "Buschfeuer" und einem "Sturm im Wasserglas". Der Görlitzer Abgeordnete Volker Bandmann forderte, Stempell müsse für seine Vorwürfe auch Beweise vorlegen. "Ich kenne keine Stimme von Rang, die mit ihm einer Meinung ist." Trotzdem will der CDU-Kreisverband Vogtland nun eine Änderung des vereinbarten Nominierungsverfahrens erreichen. Vor dem Sonderparteitag am 9. März, der einen Nachfolgekandidat küren soll, müsse eine Probeabstimmung in der 76-köpfigen CDU-Fraktion stattfinden. "Falls Milbradt dort wirklich 15 oder 20 Gegenstimmen erhalten sollte, bliebe Zeit, um über Alternativen nachzudenken", argumentiert Kreischef Fredo Georgi.
Tauziehen um Parteichef Milbradt dauert fort
Der Vorschlag ist aber umstritten. In der CDU-Fraktion hieß es zunächst, dies lasse die Satzung überhaupt nicht zu. Andererseits stand eine Probeabstimmung zum Einzelkandidaten Milbradt bereits auf der Tagesordnung für die nächste Fraktionssitzung am 27. Februar. Der Antrag wurde jedoch später zurückgezogen. Der Dresdner CDU-Abgeordnete Lars Rohwer hält ein Vorab-Votum jedenfalls nicht für sinnvoll. "Die Fraktion sollte zunächst die Partei hören und deren Meinung ernst nehmen." CDU-Fraktionschef Fritz Hähle, der noch vor Tagen durchblicken ließ, auch er habe kein Interesse an einer vorgezogenen Abstimmung, ging gestern dagegen auf Tauchstation. Zuvor hatte er für zusätzliche Unruhe gesorgt, indem er Milbradt aufforderte, nicht nur sein geplantes Regierungsprogramm, sondern auch seine favorisierte Kabinettsliste zur Diskussion zu stellen. Der CDU-Chef schoss prompt zurück: "Ich rede vor der Wahl nur über Grundsätze von Personalfragen, nicht über einzelne Personen." Auch ein vorgezogenes Fraktions-Votum lehnt Milbradt ab. Als Reaktion auf die Stempell-Attacke bereiten nun CDU-Abgeordnete einen "Gegenbrief" vor, in dem sie sich mit dessen Vorwürfen auseinandersetzen wollen.
CDU-Generalsekretär Hermann Winkler will unterdessen nächste Woche erneut mit der Plauener CDU sprechen. Eine Probeabstimmung in der Fraktion ist übrigens nicht völlig ausgeschlossen. Allerdings soll die erst am 15. April - drei Tage vor der Wahl eines Biedenkopf-Nachfolgers im Landtag - stattfinden. Bis dahin, so hofft besonders Milbradts Anhang, hat die Partei aber klar für den Kandidaten votiert und dafür gesorgt, dass auch beim skeptischsten Abgeordneten, "die Einsicht über das Bauchgefühl siegt". So lange dürfte noch die Nervosität in allen Lagern anhalten. Ein Zeichen dafür ist die überraschende Verschiebung der für Ende März in Riesa geplanten Fraktionsklausur. Die soll nun vorsichtshalber erst im August stattfinden - nach der CDU-internen Wahlschlacht um den neuen Ministerpräsidenten.
(Von Gunnar Saft)