DNN, 11.03.2002
Mit Eisvögeln war Milbradt nicht zu verhindern
Weichen gestellt: Sachsens Union kürt auf Parteitag mit deutlicher Mehrheit Georg Milbradt zum Biedenkopf Nachfolger
DRESDEN. Es gibt Momente auf Parteitagen, da kippt die Stimmung, und alles ist gelaufen. Für Dietmar Vettermann kam dieser Punkt am Wochenende bereits nach fünf Minuten. Rund um seine Heimatstadt sei nach der Wende vieles erreicht worden, versuchte der Kandidat aus Zwickau den versammelten Delegierten seine Vorstellung von Landespolitik nahe zu bringen, der Autobau zum Beispiel, und auch der Eisvogel sei „wieder heimisch" geworden. „Ich bin dankbar, dass ich dies erleben und mitgestalten konnte." Unruhe machte sich breit in der Halle, Parteigänger tauschten verstörte Blicke aus. Keine Hand regte sich zum Applaus.
Sonderparteitag der Sachsen-Union im Dresdner Flughafen, Terminal 2: OB Vettermann gegen CDU-Landeschef Georg Milbradt. Rund 240 Delegierte sollten den Nachfolgekandidaten von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) bestimmen - und staunten nicht schlecht über die Ausflüge in die Tierwelt der Zwickauer Mulde. Während der OB dem drohenden Desaster durch Redetempo zu entfliehen versuchte, ordnete "König Kurt" zum fünften Mal die Papiere auf seinem Tisch: Auch ihm war klar, mit Eisringeln lässt sich kein Staat machen - vor allem nicht Milbradt verhindern.
Entsprechend war das Ergebnis am Ende: Vettermann erhielt knapp 29 Prozent der Delegiertenstimmen, Milbradt, der in Ungnade gefallene Zögling von Biedenkopf, ging mit über 71 Prozent als klarer Sieger aus dem Rennen. Vor Freude matt glänzend dankte er „für das Vertrauen", und irgendwann kamen auch Biedenkopf und sein Statthalter im Parlament, Fraktionschef Fritz Hähle, zum Gratulieren. Der Rest war Händeschütteln, Grußadressen, Blitzlichtgewitter.
Dabei war vor dem Votum Vieles offen.. Es kursierten wilde Gerüchte in Dresden: dass Vettermann nur antrete, um Milbradt entscheidend zu schwächen; dass dann, im Tumult, ein Dritter die Chance ergreift: Biedenkopfs Vorzugskandidat Thomas de Maiziere.
Doch daraus wurde nichts. Nach zwölf lähmenden Monaten, nach Affären und Grabenkämpfen mit viel Ärger und wenig Geschick rang sich die Sachsen-Union zu ihrem eigenen Landeschef durch. Nun ist die CDU-Fraktion am Zug - und kann kaum mehr anders, als Milbradt Mitte April im Landtag zu wählen.
Das musste selbst Biedenkopf einsehen. Das Votum sei „eine solide Basis" für Milbradt, sagte der Regierungschef, der seinem Kontrahenten noch vor wenigen Wochen Intrigantentum vorgeworfen hatte. "Wenn die CDU klug ist, eint sie das." Und irgendwie klang es, als gehörte er nicht mehr dazu. Auch Hähle fügte sich in sein Schicksal. Die Fraktion müsse sich "am klaren Ergebnis orientieren", mahnte er zähneknirschend, das Auftauchen eines „dritten Mannes" sei nicht mehr zu erwarten. Im Klartext: Nun ist Einheit gefragt.
Das ist der entscheidende Punkt: 61 Stimmen braucht Milbradt im Parlament, und bis vor kurzem war das noch unsicher. Denn ein harter Kern von Milbradt-Gegnern in der Fraktion will den Ungeliebten nicht als neuen Regierungschef. Dröge sei er, so lautet der Vorwurf, kein waschechter Sachse, und mit ihm - das heißt ohne Biedenkopf - drohe im Wahljahr 2004 Rot-Rot, also ein Desaster.
Dieser Riss war selbst noch am Wochenende zu besichtigen. Trotz spätem Start und dürftigem Auftritt erhielt Vettermann fast ein Drittel der Stimmen. „Die hätten auch einen Besen gewählt, wenn er gegen Milbradt angetreten wäre", brachte Ex-Frauenministerin Friederike de Haas (CDU) die Stimmung auf den Punkt. Und das Schlimmste: Die PDS will die CDU noch gern etwas vorführen. Sollte es der CDU-Chef bei der Wahl im Landtag aus eigener Kraft nicht schaffen machte PDS-Fraktionschef Peter Porsch vor kurzem ein unsittliches Angebot, werde er Milbradt mit ein paar Stimmen aushelfen. Die CDU müsse inhaltlich nur hier und da Abstriche machen.
Milbradt will davon nichts wissen, und erhält Rückendeckung von höchster Stelle. Für Landtagspräsident Erich Iltgen, hat die Fraktion „einen klaren Auftrag" erhalten: „Milbradt mit bestmöglichem Ergebnis zu wählen". Dann wäre die PDS aus dem Spiel.
Und Biedenkopf? Er bleibe „Sachsen verbunden", meinte der Regierungschef gefasst. Aber wo sein Lebensmittelpunkt nach dem Rücktritt am 18. April letztlich liege, das könne er „nicht sagen“. Noch nicht.
(Jürgen Kochinke)