Mitteldeutsche Zeitung, 01.05.2001
Affäre Biedenkopf
Billiger Wohnen nach Schlossherren-Art / Moderate Miete könnte "König Kurt" die Herrschaft kosten
DRESDEN. Der Countdown läuft. Mit Spannung wird morgen ein Bericht der Dresdner Staatskanzlei zu den Wohnumständen von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) erwartet. In Kreisen der sächsischen Christdemokraten wird gebannt auf dieses Datum gestarrt. Selbst dort wird offensichtlich nicht mehr ausgeschlossen, dass damit die Ära Biedenkopf in Sachsen rascher zu Ende gehen könnte als geplant.
Wenn der Ministerpräsident kommende Woche von einem offiziellen Besuch in den USA an seinen heimischen Schreibtisch zurückkehrt, wird er ein landespolitisches Trümmerfeld vorfinden. Die vier Wochen seiner Abwesenheit haben ausgereicht, um die feste CDU-Burg Sachsen in ein baufälliges Gebäude zu verwandeln. Partei-und Fraktionschef Fritz Hähle spricht offen von einer Spaltung seiner Christdemokraten.
Die wochenlange öffentliche Debatte der privaten Wohnumstände Biedenkopfs hat die Macht-Erosion des Ministerpräsidenten rasant beschleunigt und die damit verbundene Frage seiner Nachfolge neu belebt. Ausgelöst hatten die so genannte "sächsische Putzfrauenaffäre" ein paar scheinbar harmlose Anfragen des SPD-Abgeordneten
Karl Nolle und ein Beitrag in einer Dresdner Boulevardzeitung.
Dabei war es zunächst nur um die Höhe des Mietpreises und die Inanspruchnahme des Dienstpersonals der Biedenkopfs im Dresdner Gästehaus der Regierung gegangen. Seit 1990 bewohnt die Familie vier Zimmer mit insgesamt 155 Quadratmetern im Dresdner Nobelviertel Loschwitz. Dafür bezahlt der Ministerpräsident 8,15 Mark je Quadratmeter zuzüglich Nebenkosten, insgesamt 1 857,03 Mark monatlich.
Der Vergleich mit normalen Wohnungen, die in dieser Lage leicht 15 Mark je Quadratmeter kosten, sei nicht zulässig, hieß es zunächst in der Staatskanzlei. Der niedrige Mietpreis wurde mit dem Hinweis auf einen Mietvertrag des Freistaates mit der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft (TLG) gerechtfertigt. Die Nutzung des Personals -Putzfrau, Koch, Gärtner, Hausmeister -, die den Freistaat jährlich 300 000 Mark kosten, sei vertraglich geregelt.
Dann vollzog die Staatskanzlei Anfang April eine Kehrtwende und setzte eine Arbeitsgruppe ein, die -parallel zum Landesrechnungshof -einen Bericht über die Nutzung des Regierungsgästehauses in den vergangenen zehn Jahren vorlegen soll. Eventuelle Nachzahlungen im Falle ungerechtfertigt in Anspruch genommener Dienstleistungen wurden plötzlich nicht mehr ausgeschlossen.
Seither kocht die Gerüchteküche. Immer mehr tatsächliche oder vermeintliche Details aus dem persönlichen Leben der Biedenkopfs sickern an die Oeffentlichkeit und vermitteln das Bild von fast monarchischem Gebaren. So soll der Koch des Gästehauses den Biedenkopfs auch in ihrem privaten Anwesen am Chiemsee zur Hand gegangen sein. Von Leibwächtern wird berichtet, die Ingrid Biedenkopf beim Shopping die Einkaufstüten getragen hätten.
Insbesondere die 70-jährige Ehefrau des Ministerpräsidenten gerät jetzt zunehmend ins Schussfeld. Der SPD-Abgeordnete Nolle will Hinweise darauf haben, dass sie Anfang Mai 1995 die Hubschrauberstaffel der Polizei zu privaten Zwecken genutzt hat, was nur dürr dementiert wird.
Das Regierungsgästehaus mit seinen 15 Zimmern soll Ingrid Biedenkopf geradezu wie eine Schlossherrin geführt haben. Wie der "Spiegel" in seiner jüngsten Ausgabe berichtet, habe sie bereits 1992 erfolgreich gegen eine Anhebung der Miete auf ortsübliches Vergleichsniveau interveniert und selbstherrlich Entscheidungen über die Belegung des Hauses getroffen. So sollen auch ihre Kinder aus erster Ehe dort gewohnt haben.
Ob und wie Kurt Biedenkopf all das politisch überlebt, ist offen. Der Countdown läuft.
(Ralf Hübner)