Dresdner Morgenpost, 30.05.2001
Ich bin ein Arbeitstier
Interview mit Ingolf Roßberg
Ingolf Roßberg im Interview mit Kai Schulz und Gregor Tschung
Morgenpost: Wer wird Oberbürgermeister?
Ingolf Roßberg: Sie sehen ihn vor sich.
Morgenpost: Warum braucht Dresden, überhaupt einen neuen OB? Der Stadt geht es doch ganz gut.
Ingolf Roßberg: Das ist nur die Oberfläche. Wenn man sich die tatsächliche Lage der Stadt anschaut, ist es nicht so rosig. Viele der mittelständischen Einzelhändler kämpfen irgendwo knapp oberhalb der Sozialhilfe. In Wirtschaftsfragen hat die Stadt nicht die Dynamik, die sie haben müsste. Und dann haben wir eine Verschuldung von 4 000 Mark pro Kopf. Die Stadt ist pleite. Dresden ist jetzt elf Jahre nach der Wende eine Stadt, die im gnadenlosen Wettbewerb mit allen anderen Städten steht.
Morgenpost: Sie sprechen vom gnadenlosen Wettbewerb. Mit der Gläsernen VW-Manufaktur versucht Dresden sich dagegen zu rüsten. Ausgerechnet gegen die waren Sie
Ingolf Roßberg: Nein, ich war nicht gegen VW, sondern den Standort.
Morgenpost: Was ist Ihre Motivation für den Posten des OB?
Ingolf Roßberg: Es gibt mehrere. Ich bin echter Dresdner. Da herrscht eine ganz tiefe emotionale Verbundenheit mit der Stadt. Das Zweite ist, ich bin ein Arbeitstier, und diese Arbeitskraft will ich hier einsetzen. Und ich kenne alle Defizite, die es in Dresden gerade in der Verwaltung gibt.
Morgenpost: Sollten Sie gewählt werden, haben Sie aber keine Mehrheit im Stadtrat hinter sich.
Ingolf Roßberg: Es geht ja erst mal darum, wie ich die Aufgabe des OB sehe. Der OB ist ein eigenständiges Organ neben dem Stadtrat und nicht dem Stadtrat untergeordnet. Als Chef von 8000 Beschäftigten hat er ein funktionierendes Wechselspiel mit seinem „Aufsichtsgremium" Stadtrad zu organisieren. Dabei wird praktisch nur funktionieren, was mehrheitsfähig ist. Ich werde alles dransetzen, das Gegeneinander der letzten Jahre im Interesse Dresdens zu überwinden.
Morgenpost: Sie versprechen in ihrem Wahlprogramm, die Hürde für Bürgerbegehren von 15 auf fünf Prozent zu senken. Das ist mit der jetzigen CDU-Mehrheit nicht zu machen.
Ingolf Roßberg: In meinem Programm steht, ich will mich dafür einsetzen.
Morgenpost: Wahrscheinlich erfolglos...
Ingolf Roßberg: Mal sehen, wie das die Dresdner sehen.
Morgenpost: Fürchten Sie nicht den Bürger, der sich dann in alle Fragen der Politik einmischt?
Ingolf Roßberg: Ich fürchte keinen Bürger. Ich weiß, dass sich die Dresdner einen starken Bürgermeister wünschen. Auf der anderen Seite wollen sie aber bei vielen Fragen, etwa dem
Städtebau, mitreden. Und das kann man unter einen Hut bringen.
Morgenpost: Sie sagen, Sie wollen keine unfi-nanzierbaren Wahlverspre-chen machen. Welche Pro-jekte sind nicht finan-zierbar?
Ingolf Roßberg: Beim Bau der Philhar-monie haben wir eine Lücke von 25 Millionen Mark, zum Beispiel. Jetzt zu versprechen, Dresden bekommt die Philharmonie bis 2006, kann ich nicht. Es wäre unehrlich.
Morgenpost: Sie sind gegen den übertriebenen Ausbau von Straßen. Was ist mit der Königsbrücker Straße?
Ingolf Roßberg: Die Straße wird nie mehr als einen für solche Straßen normalen Tagesverkehr haben. Der kann über eine Fahrspur abgewickelt werden, wenn die Hansastraße den überörtlichen Verkehr aufnimmt. Wer an vier Spuren festhalten will, riskiert, dass nie gebaut wird.
Morgenpost: Fördert der jetzige OB zu sehr den Autoverkehr?
Ingolf Roßberg: Er versucht es, scheitert aber an der Umsetzung.
Morgenpost: Sie haben 1994 die Wahl ziemlich deutlich verloren.
Ingolf Roßberg: Als damaliger FDP-Kandidat hatte ich immerhin fast dreimal so viel Stimmen wie die Partei. Wagner wurde damals nur auf grund der Zersplitterung seiner Kritiker gewählt. Hier haben wir jetzt mit einem gemeinsamen Kandidaten eine ganz andere Koalition.
Morgenpost: Der OB wirbt immer wieder mit der Kunst- und Kulturstadt Dresden und mit dem Hightech-Standort...
Ingolf Roßberg: Es ständig zu erklären, ist nicht das Wesentliche. Wir müssen es bekannt machen. Wir Dresdner müssen uns nicht immer gegenseitig sagen, wie schön diese Stadt ist. Brüssel muss es wissen, Paris muss es wissen, Italien muss es wissen. Diese Leute müssen es wissen und es sich hier anschauen.
(Kai Schulz und Gregor Tschung)