Sächsische Zeitung, 08.06.2001
Tote Hose nach Spatenstichen
Mit OB Wagner und den Festgästen ziehen oft auch die Bauarbeiter wieder ab
DRESDEN. "Wagner baut, Roßberg staut", heißt es auf den neuesten Plakaten der CDU-Jugend. Tatsächlich gab es selten so viele Spatenstiche wie jetzt vor der Wahl. Doch mit OB und Festgästen zogen oft auch die Bauarbeiter wieder ab.
Der Terminkalender von Dresdens Oberbürgermeister Herbert Wagner (CDU) liest sich wie die unendliche (Erfolgs-)Geschichte. Spatenstiche, Rammschläge, Grundsteinlegungen, Richtfeste und Einweihungsfeiern ... Hinzu kommen Spendenübergaben, Jubiläen, Konferenzen, Ausstellungs-Eröffnungen und Empfänge, auf denen der OB repräsentiert. Im Kleingartenverein "Am Trutsch" pflanzt er einen Baum, auf der Hauptstraße sticht er ein Bierfass an. Schon Jahre war der Amtsinhaber nicht mehr so nah am Volk, schickte lieber die zweite Garde raus. Acht Stunden arbeiten, acht Stunden Wahlkampf lautet jetzt sein Tagesmotto. Doch beides lässt sich kaum noch trennen.
Besonders vordergründig erscheint Wagners plötzliche Liebe fürs Bauen. Denn nach öffentlichkeits-wirksamem Startschuss mit Sekt und Häppchen herrscht auf vielen Baustellen erstmal tote Hose.
Beispiel 1: Hinter dem Erlweinspeicher an der Elbe war vor neun Tagen Spatenstich für Deutschlands schönstes Kongresszentrum. Doch Bauarbeiter sucht man vergeblich. Die Firma Dywidag erklärt, dass sie noch mit der Leistungs-Vergabe beschäftigt sei. Nächste Woche, nach der Wahl, gehe es tatsächlich los - mit Rodung und Abbruch.
Beispiel 2: Für den Neubau der Flügelwegbrücke rammte OB Wagner vor elf Tagen einen Pfahl in die Elbwiese. Der steht jetzt einsam in der Landschaft. Die Technik ist wieder verschwunden. Nur die Holzbrücke, über die die Promis schritten, blieb übrig. Verkehrsbürgermeister Rolf Wolgast (SPD), der beim Rammschlag für Wagner warb: Es müssen erst Baustellen-Einrichtungen aufgebaut und Vermessungspunkte angelegt werden.
Beispiel 3: Am Wiener Platz ließ man am 29. Mai extra zwei Gehweg-Platten heben, damit OB Wagner beim Spatenstich für den ersten Hochbau nicht auf Granit stößt. Die Platten liegen wieder an Ort und Stelle. Laut Bauunternehmen Müller-Altvatter sei man noch bei Planung und technischer Abstimmung. Kommende Woche wolle man mit dem Baufeld-Freimachen beginnen.
Beispiel 4: Am 25. Mai schwang der OB in Bühlau den Spaten für einen Kindergarten der Wohnbau Nordwest. Seitdem passiert nichts mehr. Laut Wohnbau-Sprecher Bernd Felgentreff sei das auch gar nicht möglich. Auf dem Baugelände stehen Bäume. Und die dürfe man in dieser Jahreszeit nicht fällen.
Wagners rechte Hand, Stadtsprecher Ulrich Höver, bestreitet, dass die vielen Spatenstiche nur Shownummern vor der Wahl sind. "Im Frühjahr geht das Bauen los", sagt er. Und Dresden sei dabei Spitze.
(Katrin Saft)