Mitternachtspitzen 2017, 22.12.2018
Fluchtursachen bekämpfen
Mitternachtspitzen 2017
Das Beste aus 30 Jahren Mitternachtsspitzen
WDR Fernsehen - Sendung vom 22.12.2018
Fluchtursachen bekämpfen ...
Hagen Rether, Kabarettist
VIDEO link
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/mitternachtsspitzen/video-eine-woche-bis--jahre-mitternachtsspitzen----100.html
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Fluchtursachen bekämpfen höre ich immer. Wie rührend, das werden wir natürlich nicht tun, weil wir sonst unsere Lebensweise ändern müssten. Unsere Lebensweise ist deren Fluchtursache. Von Klamotten bis zur Landwirtschaft, vom Ehering bis zur Stereoanlage und zum Handel. Das funktioniert nicht. Wir bekämpfen Geflüchtete aber keine Fluchtursachen.. Wir sind nicht interessiert an den Fluchtursachen. Nicht ehrlich, sonst müssten wir was tun. Das ganze läuft ja mindestens seit 1444 so.
Seit die ersten. Sklavenschiffe in Lissabon angekommen sind. Haben wir ernsthaft geglaubt das geht jetzt noch einmal 600 Jahre so? Haben wir gedacht, das merkt keiner? Seit wir das alle in der 10. Klasse gelernt haben, in Geschichte, ist uns klar, dass das nicht nochmal 600 Jahre so weitergeht. Es fliegen uns gerade 600 Jahre Kolonialismus um die Ohren und wir müssen das mit Anstand über die Bühne kriegen, ohne zu verrohen, ohne zu Barbaren zu werden, wie unsere Vorfahren.
Und hier sitzen dann Leute in Talkshows und Zeitungsredaktionen und erzählen uns, sie sind stolz auf 70 Jahre Frieden und Freiheit in Europa. Wir haben Krieg und Sklaverei outgesourced.. Ganz perfekt. Unser Wohlstand steht auf Leichenbergen und es werden täglich mehr. Und weil das eben so bitter ist, muss man dauernd dazu übergehen, und dazu sagen, die Afrikaner, die sind ja selber schuld. Die haben ja Diktatoren, die sind ja so viel korrupter als wir, da ist ja Korruption, da ist ja Kleptokratie überall. Das stimmt ja alles, sind ja Diktatoren, da ist viel Kleptokratie, viel Korruption. Das ist ja ein Riesenproblem und das auch schon sehr lange. Aber was sind das für durchsichtige Argumente?
Was für läppische, schwache Entlastungsargumente, angesichts der Monstrosität, die wir Welthandel nennen. Das spielt als Globalisierung und wir haben das ganze perfekt ich auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet und abgestimmt. Jetzt haben wir ein schlechtes Gewissen und Angst wir könnten in die Unterzahl kommen. Wir haben Angst, dass wir unsere Heimat verlieren weil Leute kommen, die längst ihre Heimat verloren haben. Aus unserer Angst wird jetzt Wut und Zorn, also Wut mit Abitur, und Leute die sich nicht verstanden fühlen, wählen jetzt Leute die sich nicht ausdrücken können. Was für eine traurige Ironie. Aber unter Zorn ist ja schon verständlich, wenn wir bedenken, was wir erlitten haben.
Was müssten unsere Großeltern Tee pflücken für die Bonzen in Ceylon. Was haben unsere Eltern auf den Baumwollfeldern geschuftet für die Inder. Und die armen Sachsen in den Kupfer- und Coltanminen bei Dresden, um Mineralien und Erze zu gewinnen, die für alle elektronischen Bauelemente gebraucht werden, nur damit die Kongolesen da 30 Elektrogeräte pro Haushalt haben.
Und die Kakao- und Kaffeeplantagen in der Pfalz und Generationen von Kindern haben sich ihre Gesundheit ruiniert für diese ekligen afrikanischen Großkonzerne und die somalischen Fangflotten, die unsere Nordsee leer gefischt haben, deswegen mussten viele Ostfriesen Piraten werden. Fast alle unserer Elefanten haben sie erschossen für ihre Schachfiguren und für ihre Klaviertasten. Jetzt kommen sie mit ihren Jeeps und machen auch noch Safari und gucken sich die letzten Elefanten im Bayerischen Wald an.
Das ist schon hart. Und damals als die Herero Deutschland überfallen haben, und dieser Genozid an den Schwaben. Es wirkt ja auch nach. So etwas kloppst du dir nicht einfach aus den Kleidern. Nach 100 Jahren tut das immer noch weh. Davon erholt man sich nicht so schnell. Wie stehen bis zu den Knien in ätzenden Chemikalien, damit man in Bangladesch für 7 € Jeans kaufen kann.
Wie viele unserer Mädchen haben wir verloren in den Diamantminen bei Bielefeld, damit die Bonzen in Sierra Leone singen können: „Diamonds are a girl's best friends“. Jetzt kommen sie und wollen auch noch in unseren Turnhallen wohnen. Ja was denn noch alles? Was sollen wir noch alles für sie tun? Irgendwann ist doch mal Schluss. Irgendwann können wir doch nicht mehr. Irgendwann geht einfach doch nicht mehr.
Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind eben endlich.