Hannoversche Allgemeine Zeitung, 08.01.2002
Biedenkopf-Jäger kommt aus Hannover
Karl Nolle setzt sächsischem Regierungschef schwer zu
DRESDEN.
Karl Nolle ist einer von der Sorte Politiker, die damit leben können, dass sie von vielen Menschen abgrundtief gehasst werden. Ein dickes Fell hat er sich angelegt, und ein anscheinend unerschütterliches Selbstvertrauen gibt ihm täglich neue Kraft. Seit einigen Monaten dient der 56-jährige SPD-Politiker als Speerspitze der Attacken auf den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU). Und das, obwohl er doch gar kein Sachse ist, sondern aus Niedersachsen stammt. Nolle bombardiert als Landtagsabgeordneter die Staatsregierung in Dresden mit Anfragen, Nolle verbreitet Presseerklärungen mit Vorwürfen gegen den Regierungschef, Nolle horcht tief in das Lager der CDU-internen Biedenkopf-Gegner hinein, Nolle wühlt in Unterlagen und Akten. Eine Allzweckwaffe gegen den Ministerpräsidenten und die CDU ist er geworden.
Das Wort "Nolle" steht für die Anti-Biedenkopf-Kampagne schlechthin. Der Sozialdemokrat agiert zäh und unablässig. Jüngster Vorwurf vom Montag: Der Regierungschef soll beim Auszug aus dem Gästehaus der Staatsregierung in Dresden wertvolle Gemälde, Silberleuchter und Möbel mitgenommen haben. "Das war Biedenkopfs Privateigentum", betont die Regierung. Er habe Hinweise, dass dies nicht stimmt, entgegnet Nolle.
Sollte Biedenkopf nun in den nächsten Tagen seinen Rücktritt erklären, wäre dies vor allem Nolles Erfolg. Er hat den Ministerpräsidenten mit Kleinigkeiten, Vorwürfen, Unterstellungen und Nachfragen so sehr gepiesackt, dass Biedenkopf die Freude am Regieren allmählich vergangen ist. Man frage sich, "ob das alles noch Sinn macht", sagte der sichtlich ermattete Christdemokrat kurz vor dem Jahreswechsel. Nolle wird diese Passage in den Zeitungen mit innerer Freude gelesen haben. Der SPD-Politiker wirkt unerschrocken, unbeirrt und angriffslustig. Sogar sächsische Sozialdemokraten, von denen viele die zurückhaltende und höfliche Art bevorzugen, sind über das burschikose Auftreten ihres Genossen irritiert, manche gar verärgert. Aber obwohl Nolle so manchen persönlichen Rückschlag hat einstecken müssen, geht er seinen Weg unverdrossen weiter - wie ein Einzelkämpfer im Urwald, getrieben von seinem Eifer, den Feind vor Augen und die Gewissheit im Hinterkopf, irgendwann ganz vorn zu stehen.
Eine Spur Fanatismus ist ihm manchmal anzumerken, aber dann wieder überwiegt der Spaß an der schlichten Provokation, die Freude darüber, im Gespräch zu sein. Das klappt mittlerweile bundesweit. Ein Nolle-Spruch wurde von der sächsischen Landespressekonferenz zum "Zitat des Jahres" gewählt: "Wenn Sie wissen wollen, wo es hier zur Staatskanzlei geht - immer den Bach runter, immer den Bach runter."
Vor zwei Jahren, im Kommunalwahlkampf, sorgte der Sozialdemokrat das erste Mal überregional für Aufsehen. Er hatte gegenüber einem Wahllokal einen Kleinbus mit SPD-Werbung aufgestellt. Der Stadtwahlleiter ließ den Bus abschleppen, Nolle stellte Strafanzeige - und lieferte Gesprächsstoff.
Dann ging es auf und ab. Nolle war Schatten-Wirtschaftsminister der SPD für die Landtagswahl 1999, doch die Partei landete weit abgeschlagen. Dann wollte er Dresdener SPD-Oberbürgermeisterkandidat werden, war sogar schon fast nominiert. Aber ein unglückliches Zitat brachte Ärger, und überdies setzten sich viele SPD-Politiker für einen überparteilichen Bewerber ein - also verzichtete Nolle.
Zum sächsischen Wesen passt seine zuweilen eigensinnige, manche meinen unappetitliche Art schlecht. Für einige ist Nolle der "typische Wessi". Er kommt ja aus dem Westen, in Wunstorf bei Hannover wurde er politisch geprägt. Bei den dortigen Jungsozialisten reifte sein politischer Stil heran. Nolle, heute Inhaber einer großen Druckerei, Kunstmäzen und wohl auch Millionär, lieh sich Ende der sechziger Jahre von seinem Vater 2000 Mark und kaufte sich davon eine Druckmaschine, baute die "Soak"-Druckerei auf und gründete einen Verlag - damals zusammen mit einem Mitstreiter namens Gerhard Schröder, dem heutigen Bundeskanzler. Mitte der siebziger Jahre entfernten sich Schröder und Nolle voneinander. "Die einen wollten nach oben streben, die anderen leisteten Basisarbeit", sagt Nolle heute nicht ohne kritischen Unterton.
Er selbst zählte zur zweiten Gruppe - und eckte immer wieder an. Die SPD schloss ihn 1986 sogar aus, weil er für die Grünen Werbung gemacht habe, heißt es. Erst 1998 kehrte er zur Partei zurück. Aber genügend Ärger hat der Querkopf seinen Freunden schon immer bereitet. Beispielsweise Anfang der siebziger Jahre, als Niedersachsens Innenminister Richard Lehners vertraulich um ein Gespräch mit ihm bat, weil er sich für einen Landtagswahlkreis in Nolles Unterbezirk interessierte. Nolle antwortete nicht, sondern schrieb einen Artikel über die Lehners-Offerte im Juso-Blättchen. Der Minister war bloßgestellt, Parteifreunde schäumten vor Wut. Mit anderen Themen wurde er zum Bürgerschreck. Als er im heimatlichen Wunstorf die "Hindenburgstraße" Anfang der siebziger Jahre in "Allendestraße" umtaufen lassen wollte, entwickelte sich darüber ein monatelanger erbitterter Streit.
Eine Episode aus dem Bundestagswahlkampf 1969 erzählt man sich in Nolles früherem Wohnort noch heute: Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) war damals im Stadttheater, die Jusos wollten die Veranstaltung stören. Nolle hatte einen kleinen Jungen auf den Schultern, zeigte auf Kiesinger und rief laut: "Guck mal, Paul, da vorne steht der böse Onkel." Die Zuhörerschaft im Saal reagierte empört.
Nolle ist die Konfrontation mit den Mächtigen in der CDU ein Herzensanliegen. Er sonnt sich in seiner Popularität, spricht nicht ohne Stolz davon, der "Staatsfeind Nummer eins" in Dresden zu sein. Jüngst hat man ihn auch noch zum Schützenkönig der sächsischen Metropole proklamiert. Aus Gram darüber sind führende Christdemokraten anschließend dem Schützenfest fern geblieben. Nolle störte das nicht - er gab für die restlichen Anwesenden erst einmal eine Runde Bier aus. Ein Platz im sächsischen Geschichtsbuch ist ihm wohl gewiss: als der bissigste und wohl auch wirkungsvollste Jäger des alternden Biedenkopf.
(Klaus Wallbaum)