Freie Presse, 06.04.2001
Politkultur auf den Hund gekommen
Die Stunde des Aussenseiters
DRESDEN. Ungewollt wurde diese ungewöhnliche Parlamentsdebatte die Stunde eines Außenseiters. Zuerst titulierte ihn CDU-Fraktionschef Fritz Hähle als "Verunglimpfungsbeauftragten", dann stellte ihn Staatskanzlei-Chef Georg Brüggen als Betreiber einer Diffamierungskampagne gegen den Ministerpräsidenten und seiner Frau an den Pranger.
Karl Nolle, zu dem selbst eigene SPD-Kollegen auf Abstand gehen, genoss die Aufwertung. Die Regierung ließ sich zu ihm herab, und sein Fraktionschef musste einen Politik-Stil verteidigen, den er selbst im Grunde seines Herzens ablehnt. Es ging um Demokratieverständnis von CDU und Regierung. Die Debatte hatte Thomas Jurks SPD-Fraktion beantragt. Fast wie gerufen passte dazu die jüngste Kampagne gegen den Ministerpräsidenten - fand jedenfalls Ministernovize Brüggen und stellte eine, wie er vorab betonte, bewusst emotionale Erklärung zu den Vorwürfen über den Wohnstil der Biedenkopfs in den Mittelpunkt der Aussprache.
Früher, in den Aufbaujahren, sei alles besser gewesen. "Die politische Kultur ist auf den Hund gekommen", kommentierte Andre Hahn, Parlamentarischer Geschäftsführer der PDS, die Situation. "Hier wird der Versuch unternommen, den gebotenen demokratischen Streit um den richtigen Weg durch eine Schlammschlacht zu setzen", so der neue Chef der Staatskanzlei.
Unterschiedliche Sachverhalte, aber Gleichklang in der atmosphärischen Beurteilung. "Politik wird Bestandteil einer Spaßgesellschaft", diagnostizierte Peter Porsch (PDS) messerscharf die Überlegenheit von politischen Krawall-Szenen in der Konkurrenz zu seriös-trockenem Informationsaustausch. Dieses Bedürfnis bedient Karl Nolle so dreist und medienverliebt wie kein Zweiter im sächsischen Parlament. Vielleicht war es auch die Provokation von Nolles dubioser Strafantragsdrohung, die Brüggen so weit aus der Reserve locken ließ. Er veruntreue Staatsgelder, hatte der SPD-Aufklärer gemutmaßt, weil Biedenkopf in seinem Dienstwagen gelegentlich die Enkel zum Kindergarten fahren lässt. "Verlogen und scheinheilig" seien die Motive, kommentierte Brüggen. "Einige von Ihnen wollen, dass Kurt Biedenkopf Sachsen verlässt. Sie wollen ihn zwingen, um Schaden von sich und seiner Familie abzuwenden, von Sachsen fortzugehen, weil es Ihnen nützlich erscheint." Die Menschen und ihre Sympathien würden bei Kurt Biedenkopf sein "und nicht bei Ihnen." Endlich einmal wieder Gemeinschaftsgefühl der CDU beim Klatschen. Was nicht stimme in der Regierung sei ihr Krisen-Management. "Sie haben Tage gebraucht, um diese Antworten zu geben", stellte Jurk fest. Dabei teile er die Auffassung, dass nicht alle privaten Dinge in die Öffentlichkeit gehören. Doch nun erfuhr auch das "Hohe Haus" alles über den "Nutzungsüberlassungsvertrag" des Ministerpräsidenten, der ihn berechtigt, die Gemeinschaftseinrichtungen des Gästehauses zu benutzen, ebenso die Dienste von Koch, Gärtner, Putzfrau oder Hausmeister. "Alle Bediensteten des Gästehauses der Schevenstraße gewähren den Service für das Gästehaus", zitierte brav der Staatsminister, "für die Gäste, die dort sind. Dazu gehören auch der Ministerpräsident und seine Gattin." Der nächste Zwischenruf von Karl Nolle: "Das ist wohl eine Karnevalsveranstaltung." Die PDS fragte später sachlicher: Ist Kurt Biedenkopf in der Schevenstraße Gast, oder hat er dort seinen ersten Wohnsitz? Abstoßend finde die sächsische Bevölkerung solche Debatten, befand Fritz Hähle (CDU) eingangs der Debatte. Recht hatte er. Dazu gut gepasst hätte, wenn er sich seinen Schlenker auf Stasi-Methoden verkniffen hätte. Denn bis dahin durfte die Fraktion mit Hähle als Redner beinahe zufrieden sein. Der Hinweis auf Nolle als "Kampfwalze" entlockte selbst in der SPD Schmunzeln und sogar sekundenlang Schweigen, als er die Wahltriumphe der Christdemokraten nicht als Ergebnis tumber Bürgertäuschung bezeichnete. Doch dann traf Andre Hahn (PDS) spitzzüngisch Schwachstellen des Dauerregiments. "Sachsen ist das Bundesland, in dem die meisten Gesetze für verfassungs- und rechtswidrig erklärt worden sind". Als Beispiele nannte er das Polizeigesetz, Teile der Gebietsreform oder Verordnungen, mit denen Volksentscheide behindert werden sollten. CDU und Staatsregierung müssten endlich auf ihre Sachverständigen hören. Nach elf Jahren absoluter Mehrheit hätten sie jede Bodenhaftung und Konsensfähigkeit verloren. Es müsse Schluss damit sein, quasi Gesetze auf Probe zu erlassen und dann abzuwarten, was der Verfassungsgerichtshof davon übriglässt. Der Umgang mit dem Datenschutzbeauftragten durfte in diesem Kontext nicht fehlen. Der Versuch, seine Rechte zu beschneiden, habe zu einer bundesweit einmaligen Reaktion geführt, befand Jurk und folgerte schließlich aus dem ganzen Dilemma: "Diese Regierung ist am Ende." Und übertrieb damit, wie es das Politikverständnis offenbar verlangt.
(Hubert Kemper)