FAKTtuell, Die Online-Zeitung, "Freistaat Lausitz", 24.01.2001
Journalisten und Hofschranzen im Reich des kleinen König Kurt
Journalismus vom Hörensagen: Ein Armutszeugniss für den sächsischen Journalismus
DRESDEN/GÖRLITZ. Sebnitz könnte einem wie Sven Siebert als Paradebeispiel dienen. Oder vielmehr als Lehrbeispiel. Denn Siebert ist nicht nur Korrespondent der Leipziger Volkszeitung (LVZ). Seit vorigem Jahr ist er auch Lehrbeauftragter an der TU Dresden. Er könnte es seinen Studenten als ein Beispiel dafür präsentieren, wie man mit Berichterstattung Meinung machen, eine ganze Stadt in die Defensive drängen und doch Unrecht haben kann.
Geradezu genüsslich könnte er zerpflücken, wie eine Story hoch kommt, wie sie hoch kocht, was die einzelnen Blätter daraus machen oder auch nicht und vor allem - wie ein Journalist nach dem anderen recherchiert: Indem er die Geschichten der Kollegen liest. Könnte er, hat er vielleicht auch und wäre doch selbst ein Paradebeispiel für Sebnitz 2.
Teil zwei der Geschichte Sebnitz hat mit Politik zu tun. Da stellt sich ein
Landtagsmitglied der SPD - Karl Nolle - hin und äußert in einem Life-Interview gegenüber dem MDR-aktuell:
"Unabhängig davon ist aber zu reklamieren, dass endlich Schluss sein muss mit der Verharmlosung der rechtsradikalen und rechtsterroristischen Gewalt in Sachsen, wie erst vor wenigen Wochen im Landtag, von Innenminister Hardraht aber auch von unserem Ministerpräsidenten Biedenkopf praktiziert.
In ihren Erklärungen werden diese Dinge ständig verharmlost. Sie werden runtergeredet. Sie werden kleingeredet und dieses ist für uns nicht länger hinnehmbar. Es ist nicht hinnehmbar! Und ich hoffe auch, dass diese fragwürdige Zurückhaltung, die hier stattfindet, was die Rechtsradikalität angeht, nichts mit der eigenen nationalsozialistischen Familientradition von Kurt und Ingrid Biedenkopf zu tun haben, die ja darin selber in ihrer Familie tief verstrickt waren.
Sie selber persönlich nicht, aber ihre Eltern (Vater und Schwiegervater). Und ich denke, dass das erst recht Anlass sein müsste, für den Ministerpräsidenten, sich ganz entschieden und deutlich auf die Seite derjenigen zu stellen, die gegen diese Rechtsradikalität vorgehen und vorgehen wollen."
Das ist nicht nett.
Das will Nolle auch gar nicht sein. Es ist ehrlich, offen und es spricht daraus Empörung. Im übrigen ist dieser Zusammenhang ohne weiteres zu beweisen und nachzulesen. (Zum Beispiel hier - als Recherche-Tipp:
(Das Schwarzbuch Kohl, Wie alles begann - Bernt Engelmann,
Großes Bundesverdienstkreuz - Bernt Engelmann, beide STEIDL Verlag Göttingen)
Was einige Journalisten später aus diesem Interview machen, hat nichts mehr mit ehrlich oder offen zu tun. Es ist ein Armutszeugnis für den sächsischen Journalismus. Sven Siebert ist das Paradebeispiel. In einer Glosse schreibt Siebert:
"Ein Beispiel für Nolles Offenheit und Toleranz lieferte der Kandidat kürzlich mit einer bösartigen Bemerkung selbst. Er hoffe, so Nolle, als alle Welt noch einen Mord am sechsjährigen Joseph aus Sebnitz für möglich hielt, dass die nationalsozialistische Vergangenheit der Eltern und Schwiegereltern von Ministerpräsident Biedenkopf nichts mit dem Tod des Kindes aus Sebnitz zu tun hätten. Es gibt Dresdner Sozialdemokraten, denen fehlt die Toleranz für derartige Polemik."
Es gibt Dresdner Professoren, denen fehlt es überhaupt nicht an Toleranz. Für eine solch schludrige Arbeit bekäme ein Volontär den Artikel um die Ohren gehauen, eine Glosse dürfte er wahrscheinlich in den kommenden vier Wochen nicht mehr schreiben. Dafür könnte er sich möglicherweise bei der Organisation der Veranstaltungstipps bewähren, vorausgesetzt er hat einen wohlwollenden Chef.
Was aber nun tun mit Sven Siebert? Professor Wolfgang Donsbach vom Institut für Kommunikationswissenschaft an der Dresdner TU weiß es. Er schreibt in einem Editorial:
"Mit Sven Siebert (Leipziger Volkszeitung/DNN=Dresdner Neue Nachrichten) haben wir einen der bekanntesten landespolitischen Korrespondenten in Sachsen verpflichten können. Er wird den Studenten beibringen, wie man hart, aber fair in der Politik recherchiert."
Und weil Sven Siebert offensichtlich bewiesen hat, wie gut er das kann, unterrichtet er Journalisten in spé auch während dieses Winter- und des kommenden Sommersemesters. Thema: Lesen und Schreiben - Informationsquellen für die journalistische Recherche...
Sven Siebert ist keine Ausnahme im sächsischen Land.
Irgendwie schludern sich viele Kollegen durch die Gazetten.
So auch Markus Lesch, Redakteur bei der Sächsischen Zeitung, in einem Artikel vom 5. Januar 2001. "Eine unglückliche Bemerkung über eine angebliche ,nationalsozialistische Familientradition’ der Biedenkopfs war Thema auf einer SPD-Fraktionssitzung im Dezember." Unglücklich? Für wen? Und ist Bemerkung hier das richtige Wort? Wieso eigentlich angeblich, Herr Lesch?
Kurt Biedenkopf hat eine nationalsozialistische Familientradition!
Ebenso wie seine Frau Ingrid. Das muss man nicht wissen, aber man sollte.
Und als Journalist sollte man sich entweder klug gemacht haben, oder aber nicht kommentieren. Stattdessen lediglich berichten, was tatsächlich geschehen ist.
Oder eben einfach korrekt zitieren.
Manchmal genügt es auch, die Konkurrenzblätter zu lesen. Zugegeben, nicht gerade in Sachsen. Vielleicht in Berlin.
So war in der Berliner Zeitung vom 8. November 1999 Interessantes über einen Brief an Wilhelm Biedenkopf, Vater des sächsischen Ministerpräsidenten, zu lesen. Ein Brief vom 7. 12. 1943!
Ein Auszug aus dem Brief im Artikel des Journalisten Andreas Förster: "Zur Untersuchung waren 17 Mädchen und 13 Jungen in den Altersgrenzen zwischen 9 und 14 Jahren erschienen", schreibt der Verfasser. Sein Fazit "aus Sicht des Psychologen": "Es handelt sich bei den Kindern ... um gesundes, gutes Material, von dem ein erheblicher Gewinn zu erzielen ist, wenn der arbeitsmäßige Ansatz mit dem richtigen Vorbedacht erfolgt."
Und beschreibt im folgenden Kurt Biedenkopfs Reaktion, als der mit dem Brief konfrontiert wird:
Es sei das erste Mal, dass er ein solches Dokument mit dem Namen seines Vaters in den Händen halte, sagt Biedenkopf vorsichtig. Man spürt, dass er nach Erklärungen sucht, nach Entschuldigungen. "Ich kann mir nicht vorstellen, warum mein Vater diesen Bericht bekommen haben soll", sagt Biedenkopf schließlich. "Er war doch technischer Leiter in Buna, hatte mit Personalfragen nichts zu tun." Vielleicht sei es nur ein Durchschlag, den sein Vater ungelesen abgeheftet habe. "Vielleicht hat er sich aber auch eingesetzt, dass diese Kinder in die Lehrwerkstatt kommen, weil sie für die harte körperliche Arbeit noch zu klein waren."
Keine nationalsozialistische Familientradition?
Wilhelm Biedenkopf war zu diesem Zeitpunkt Leiter der technischen Abteilung von Buna in Schkopau. Und ein "vom Führer besonders belobigter und belohnter Wehrwirtschaftsführer" (Zitat: Schwarzbuch Kohl, Bernt Engelmann).
Selbst eine Agentur wie AP druckt den Kommentar des sächsischen Regierungsprechers Michael Sagurna ohne zusätzliche Fakten ab: "Nolle weiß nicht, was er spricht. Der Ministerpräsident habe sich am (heutigen) Freitag in Sebnitz aufgehalten. Erst am 9. November habe er, wie auch bei vielen anderen Gelegenheiten, keinerlei Zurückhaltung mit dem Thema Rechtsradikalität erkennen lassen. ,Herrn Nolle ist offenbar nichts zu schade, um in die Presse zu kommen."
Im Prinzip legitim: Nolle spricht, Sagurna spricht.
Und doch - eine kurze Erklärung zu Biedenkopfs familiärem Hintergrund hätte uns einiges erspart. Oder wusste der AP-Redakteur davon nichts? Keine Schande - tatsächlich würde es ihm da nicht anders ergehen als den meisten Kollegen.
In der Folge wurde der Vorfall nur noch gekürzt.
Wann immer jemand darauf zurückkam, hieß es "nachdem Nolle im Zusammenhang mit den Sebnitzer Vorfällen dem Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) eine nationalsozialistische Familientradition vorgeworfen hatte".
(Morgenpost 9. 12. 00)
Oder: "Die Kritik richtete sich vor allem gegen Nolles Vorhaltungen gegen Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) in einer nationalsozialistischen Familientradition zu stehen." (Morgenpost 11.12. 00).
Oder die Kollegen werden witzig:
"Als Adler gestartet als Suppenhuhn gelandet. So könnte es auch dem designierten SPD-Herausforderer Karl Nolle ergehen. In seinem Ringen um Aufmerksamkeit und Popularität avancierte er sogar zur Dreckschleuder des Jahres, als er Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Sippenhaft nahm und dessen Familie Nazinähe unterstellte."
(Dresdner Neueste Nachrichten, 30. 12. 00)
Natürlich ist das Wort "Dreckschleuder" in einer Glosse erlaubt. Nur wird es bedenklich, wenn Journalisten jemand, der die Wahrheit sagt, als "Dreckschleuder" bezeichnen, ohne zu erwähnen, wessen Dreck da geschleudert wird.
Denn eigentlich ist das ihr Job.
Eigentlich. Vergessen? Eher verdrängt. Nein, hier haben sich Sachsens Journalisten nicht mit Ruhm bekleckert. Vielmehr scheinen sie sich selbst als eine Leibwache zu verstehen. Jeder Majestätsbeleidiger kommt an den Pranger. Motto: Wer wagt es, von Kurt Biedenkopf besondere Verantwortung zu verlangen, weil sein Vater und sein Schwiegervater und deren Erben von Zwangsarbeitern profitierten? Sofort hängen!
Hofberichterstattung nennt man so etwas für gewöhnlich.
In Sachsen scheint sich das eingebürgert zu haben. Da wird nicht getadelt, wer Fehler macht. Da wird aufs Korn genommen, wer die Fehler nennt. Da wird nicht kritisiert, wer gar nichts macht. Sondern vielmehr der, der etwas versucht, eine Idee hat. Wieder ein Beispiel aus der Sächsischen Zeitung, diesmal von Tilo Berger (3. 1. 2001):
"SPD-Mann Karl Nolle hat schon Recht.
Zu viele junge Leute kehren Sachsen und ganz besonders der Lausitz den Rücken. Sie ziehen schlichtweg der Arbeit hinterher, nach dem Motto: Lieber in der Fremde in Lohn und Brot, statt zu Hause arbeitslos. Diesen Trend möchte der Dresdner Sozialdemokrat, selbst Firmenchef und zudem Landtagsabgeordneter, gern umkehren. Und deshalb schlägt er vor, jedem Rückkehrer unbürokratisch 5 000 Mark zu geben. Das klingt gut. Und es wäre gut. Wenn die jungen Leute denn einen Grund hätten, zurück zu kommen. Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt wären so ein Grund. Noch aber ist der Strukturwandel in der Lausitz lange nicht so weit, dass Rückkehrer hier ohne große Probleme einen Job für vergleichbare Löhne finden können. Bis dahin haben wir einen Gegenvorschlag. Karl Nolle könnte doch mal seinen Parteivorsitzenden anrufen, auch Bundeskanzler genannt. Der wiederum könnte mal prüfen, was der Staat oder die ihm gehörenden Unternehmen für die Lausitz tun. Irgendwann käme er dann zum Beispiel auf die Idee, die dem Bund gehörende Deutsche Bahn AG könnte mehr neue Fahrzeuge bei den Waggonbauern in Bautzen, Görlitz und Niesky ordern. Das würde hier Arbeitsplätze sichern oder gar neue schaffen - und einige junge Leute mehr blieben in ihrer Heimat. Wir würden Herrn Nolle und seinem großen Chef glattweg 5 000 Mark in die Hand drücken."
Also ist Karl Nolle der Böse? Er ist schuld daran, dass so viele der Lausitz den Rücken kehren?
Er hat es nicht geschafft, Jobs herzubekommen?
Dank Tilo Berger wissen es jetzt die Leser der Sächsischen Zeitung.
Nun muss man vielleicht die Kollegen auch ein wenig verstehen. In Sachsen ist es üblich, dass Journalisten, die nicht so spuren, wie sie sollen, geschnitten werden. Da gibt es eben keine Information zusätzlich, da wird der Betreffende ignoriert und auch schon mal vor anderen niedergemacht.
Etwas, das besonders Spiegelredakteure in Dresden kennen.
Und etwas, das sie zu gewissen Außenseitern macht. Ganz außen vor lassen kann man sie allerdings nicht, auch wenn manches Parteimitglied den Spiegel gern am Boden sähe.
Ein Dilemma, das sich mittlerweile durch ganz Deutschland zieht. Ähnlich abhängig von dem Wohlwollen der Bürgermeister, Landräte, Staatsminister und Ministerpräsidenten ist man auch in Bayern, Baden Württemberg, dem Saarland oder Brandenburg. Das musste eine Volontärin im Schwabenländle erfahren. Hatte sie sich glatt erdreistet einen sehr polemischen Kommentar über eine Veranstaltung gegen rechts zu schreiben: Der OB hatte stundenlange einschläfernde Reden gehalten, die im Publikum sitzenden Schüler - zwangsverpflichtet wie zu Honeckers Zeiten - gingen derweil in der letzten Reihe nicht unbemerkt sondern übersehen über Tische und Bänke. Klar, dass das niemand lesen wollte. Übrigens auch nicht unbedingt der Verleger.
Ein wenig also kann man sie verstehen, diese Kollegen. Aber nicht entschuldigen.
Wenn es zur Selbstverständlichkeit wird, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, ist die Presse nur noch ein manipulierbares Werkzeug im Staate. Und wenigstens der eigene Stolz sollte dann Stopp! brüllen.
Sebnitz und Nolle sind zwei Seiten ein und derselben Medaille!
Sie sollten keinesfalls journalistischer Alltag werden. Und mal ehrlich, Kollegen, wäre es nicht um vieles interessanter gewesen, die Vergangenheit der Biedenkopfs unter die Lupe zu nehmen, sie beide zu interviewen und bei der Gelegenheit einfach mal zu fragen:
"Spenden Sie eigentlich etwas für die Zwangsarbeiter?"
Karl Nolle, mit absolut unverdächtiger Familientradition, hat das übrigens getan - einfach so...
(von Monika Berger-Lenz 23.01.2001)
http://www.faktuell.de/Nestbeschmutzer/presse.shtml
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